Printcollagen von Hartschuh-Bogati
Die aktuelle Berliner Porträt-Serie “Silent Portraits” des internationalen Künstlerpaares Hartschuh-Bogati ist ihre erste gemeinsame Arbeit. Sie beleuchtet den Kontrast zwischen individueller und gesellschaftlicher Sprachlosigkeit und dem anschwellenden Lärm eskalierender sozialer Kommunikation. Ein Besuch im Atelier.
Zur Person
Paula Bogati bringt eine große Begeisterung für Robert Rauschenberg, für den Konstruktivisten, Surrealisten und Dadaisten Kurt Schwitters und für die Plakat-Palimpseste von Jacques de la Villeglé mit. Ihr Weg nach Berlin hatte sie aus Siebenbürgen in Rumänien zuerst nach Quebec in Kanada geführt, wo sie auch ihre Studien in Visual Arts an der Laval University abgeschlossen hatte. Nach Ihrer Ankunft in Berlin konzentrierte Sie sich lange Jahre auf die Entwicklung einer ikonischen Bildsprache heidnischer und archaischer Figuren.
Der Autodidakt Chris Hartschuh war sprichwörtlich in der Druckwalze der Siebdruckerei seines Vaters aufgewachsen, „mit einer Original Heidelberg Tiegeldruckpresse“, dem Stolz des väterlichen Betriebes. Hartschuh entwickelte neben dem frühen Erlernen der Grundlagen des Siebdruckhandwerks auch schnell eine Liebe zu Print und Poster Artwork. Vom geometrisch-abstrakten Purismus von De Stijl über die Rockband-Posterkunst von Frank Kozik bis hin zum Fotokubismus von David Hockney, der es ihm besonders angetan hat. In den letzten Jahren entstanden die Motive für seine Foto- und Leinwandcollagen meist aus einer intensiven Reisefotografie, deren meist ausgesonderte, verrostete und dysfunktionale Objekte und Stillleben voller Patina er mittels eines mehrstufigen Verfahrens aus Verfremdung, Fragmentierung und kubistischer Collagierung neuen Perspektiven zugänglich machte.
Das gemeinsame Werk
Die Konsequenz dieser geteilten Leidenschaften für visuelle Kunst war schon bald nach der Hochzeit des Paares im Jahr 2007 eine erste gemeinsame Siebdruckwerkstatt, damals noch gelegen in der stillgelegten Männertoilette des ehemaligen White Trash Clubs in der Torstraße im Berliner Osten, intern Kloagentur genannt, ein Ort mit Stasi-Büro-Vergangenheit. Es folgten weitere Werkstattstandorte und erste Shows und kleinere Ausstellungen in Berlin, San Diego, London, Kopenhagen und Mailand. Meist arbeitete das Paar noch jeder für sich, aber der kontinuierliche Betrieb eines gemeinsamen Ateliers verwob ihre jeweiligen Schaffensprozesse zunehmend miteinander. Über zehn Jahre nach Beginn ihrer Partnerschaft arbeitet das Künstlerpaar Hartschuh Bogati nun im frisch bezogenen Pankower Atelier an einem ersten gemeinsamen Werk.
Produktionstechnik und künstlerischer Ansatz
In dem dialogischen Schaffensprozess greifen die Interventionen der beiden Künstler wie in einem intensiven Gespräch ineinander und reichern die ursprünglichen Absichten des Partners im Verlauf der vielen Verfahrensschritte um weitere Kontext- und Bezugsebenen an. So entstehen sowohl auf der technischen als auch auf der semantischen Ebene vielschichtige Werke mit einer auch haptischen Tiefe. Als Ausgangspunkt des gemeinsamen kreativen Prozesses dienen regelmäßig die von Chris Hartschuh erstellten und manipulierten Fotomotive, die im Wechselspiel zwischen den beiden Künstlern und mit Mitteln des Siebdrucks und der Malerei collagiert, ikonografisch weiterentwickelt und großformatig inszeniert werden.
Spiel mit den Ebenen
Inspiriert von der antiken Praxis des Palimpsestierens, des mehrfachen Über- und Wiederbeschreibens einer originalen symbolischen Anordnung, durch die die ältere Schicht überprägt und — fast — unsichtbar wird, arbeitet das Paar mit den hintergründig durchscheinenden Bedeutungsschatten der Vergangenheit. Die Wiederbeschreibungen und Verfremdungen eines ursprünglichen Motivs eröffnen ein Spannungsfeld zwischen Stille und Lärm, zwischen oberflächlicher Naivität und einem dahinterliegenden, undurchdringlichen Unterholz, zwischen glatter Benutzeroberfläche und den tiefen Verästelungen der Softwarestrukturen darunter. Durch das Palimpsestieren nähert sich das Werk der Komplexität menschlicher Erfahrungen, in denen scheinbar Ungesagtes und Unsichtbares oft die Dramaturgie bestimmt.
Thema der aktuellen Portrait-Serie
Ein archäologischer Blick verriete die vielen unter der Oberfläche verborgen Sedimentschichten, die Rückschlüsse auf den Werdungsprozess zuließen und eine umfassendere Kontextualisierung erlaubten. Während ein unbefangener Blick höchstens kurz irritiert von einer diffusen, unerklärlichen Hintergrundstrahlung unbeeindruckt weiterginge. Dieser künstlerische Ansatz entspricht dem Thema der aktuellen Serie des Künstlerpaares, das den Kontrast zwischen individueller und gesellschaftlicher Sprachlosigkeit und Stille einerseits und dem anschwellenden Lärm eskalierender sozialer Kommunikation andererseits beleuchtet.
Text: Johann von Schubert